Zum Buch: Der Finder
Impressum:
Herausgeber und Verlag: Hecht-Verlag, A-6971 Hard
Hersteller: Hecht-Druck, Hard
Lithos: Löpfe KG, Lustenau
© Lina Hofstädter
Illustrationen: C.C. Haider
ISBN 3-85430-093-X
Restexemplare bei der Autorin erhältlich
€ 7,- + Versandkosten
"Der Finder" wurde mit einer Buchprämie des
Bundesministeriums für Unterricht und Kunst
ausgezeichnet.
Leseprobe
An die (Damen?) & Herren
mit Nützlichkeits-Sinn und/oder
Sinn-Sinn
des Ministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie
Stubenring 1
1010 Wien
Wien, 10. März 1988
Betrifft: Suche nach Ausweg aus Wahn-Sinns-
Entwicklung meiner Ihnen aus Ver-Sehen
zugekommenen Dinge.
Ich erlaube mir hier untertänig (Verteidigungs-) Stellung
zu beziehen zur Ver-Wendung bzw. Ver-Drehung meiner
Dinge, welche Ihnen - wenn ich inoffiziellen Angaben
glauben darf - bereits zu Ohren gekommen oder viel-
leicht auch schon in die Hände gefallen sind. Wie Sie
bereits aus mehreren Einreichungen und Rückzügen
meiner Person und meiner Projekte1) bei diversen staatli-
chen Preisausschreiben und Stipendienvergaben2) der
letzten zwanzig Jahre über mich in Erfahrung gebracht
haben werden, beschäftigte ich mich seit über vierzig
Jahren (oder genauer: beschäftigte ich mich bis vor kur-
zem) mit der Erfindung von Objekten3) der Zukunft,
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1) Lat.: Vor-Würfe
2) Leider erhielt ich nie einen der Höchstpreise, da ich mich nicht
zu An- oder Rückzahlungen bereiterklärt hatte! Beachten Sie
bitte die ursprüngliche Bedeutung von Stipendium: Sold,
Steuerabgabe, Strafe. Hier tritt uns wieder einmal klar vor
Augen, daß das Ursprüngliche in der Sprache das weniger
Falsche ist, weshalb ich Ihnen allen das Stipendium der alten
Sprache ans Herz legen möchte, mit denen auch ich mich
schon lange beschäftige.
3) Lat.: Gegen-Würfe, Gegen-Entwürfe zu ...
welche mir und meinen Dingen nun, wie sich die Lage
darstellt, endgültig abhanden gekommen ist.
Diese Erfindungen beruhen - worauf ich mich immer
wieder genötigt sehe, hinzuweisen - nicht auf einem
ziel-und sinngerichteten Suchen meinerseits, sondern
vielmehr aus dem Finden, weshalb ich lange Zeit ver-
sucht habe, den Begriff des »Findens« einzubürgern,
doch vergeblich: Daß Paßamt lehnte meinen Antrag auf
Eintragung dieser Berufsbezeichnung im Jahre 1975 ab.
Bevor ich zu meiner Bitte an das hochverehrte Ministe-
rium komme, sehe ich mich gezwungen, im Dienste mei-
ner guten Sache einige aufklärende Worte über meine
Person und meine Arbeit voranzuschicken, um weitere
Mißverständnisse, von denen meine schöpferische Exi-
stenz in den letzten Monaten heimgesucht wurde, zu ver-
meiden. Ich bitte Sie also, mich als Finder zu betrachten,
nicht als Erfinder, und mich somit von jener Spezies flei-
ßiger und nützlicher Staatsbürger zu unterscheiden. Da
nun aber das Gehirn des Menschen bei weitem nicht an
die Komplexität unserer Welt oder zumindest unserer
Umwelt heranreicht, finde ich meistens Dinge, deren
Sinn mir ebenso fremd ist wie Ihnen der meinige. Daraus
ergeben sich notwendige enorme Schwierigkeiten und
zugleich Möglichkeiten im Gebrauch1) dieser Dinge (die
ich nicht gerne als Gegenstände bezeichnen möchte,
eher in gleichbedeutender Wortfügung als Widerstände).
Aufgrund ihrer widerständischen Vieldeutigkeit bin ich
auch als der Finder, Entdecker und Freund bisher
weder in die Akademie der Wissenschaften noch in die
der Künste aufgenommen worden, obwohl beide Akade-
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1) Es wäre zutreffender, vom SPIEL MIT diesen Dingen zu spre-
chen. Der Mensch neigt ja immer wieder zu Kundgebungen
mangelnder Demut und zur Verletzung des Gleichheitsprin-
zips aller Materie.
mien mich im Durchschnitt zweimal jährlich zu einer
Demonstration (meiner Objekte) und - zu irgendwel-
chen weiteren, mir meistens nicht klar durchschaubaren
ZWECKEN - auch zu Vorträgen über das Unsägliche ein-
laden.1)
Um also alle, wie es mir scheint, Verständnisschwierig-
keiten zwischen Ihrem Ministerium und meiner Person
auszuräumen, erscheint es mir unumgänglich, Ihnen
jene Zusammenhänge (oder besser: Unzusammen-
hänge) darzulegen, in welchen ich und meine sogenann-
ten Produkte2) bisher interpretiert worden sind, welche
nicht nur meine ureigenste Erfahrung, sondern auch
bezeichnend sind für unsere allseits anerkannte, wenn
auch nicht immer klar zu erkennende, österreichische
Gesellschaftsordnung.
Meine Geschichte, die eine durchwegs erfreuliche
ist, soweit sie meinen Lebensweg im Lichte der Öffent-
lichkeit betrifft, beginnt genau am 15.8.1986, als ein
Bericht über meine Arbeit im Mittelteil der Ihnen sicher
wohlbekannten und ansonsten seriösen Zeitung »Die
Presse« erschien; die für diese Spalte ursprünglich vor-
gesehene Wirtschaftsmeldung war offensichtlich wert-
los oder nicht vorhanden. Um die diesem Vorfall durch-
aus adäquate Form der Mitteilung - die leere Spalte, die
Fehl-Meldung, die Null-Information - zu vermeiden,
welche ja an sich jedem Interessierten und Denkenden
meiner Meinung nach eine spannende Lektüre, ein Glot-
zen in die Wahrheit geboten hätte, trat ein mir bis dahin,
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1) Ich möchte hier jedoch keinesfalls den Eindruck erwecken,
daß ich meine Nicht-Mitgliedschaft in jenen Korporationen
bedauerte. Vielmehr fühle ich mich als vollwertiges Glied der
Natur und als halbwertiges der österreichischen Gesellschaft
genügend in meiner Wesensart bestätigt.
2) Lat.: Vor-Züge
wie man sagt, gut bekannter Journalist dieses Blattes an
mich heran, d.h. eigentlich telefonierte er, und bat mich
dringend darum, eine Darstellung meines Werkes an
Stelle des Nichts geben zu dürfen. Auf meine Frage (die
nicht speziell meine, sondern die Fragestellung der
Situation war): »Warum ausgerechnet ich?«, erklärte er
selbst aber, - als Ausnahme dieser Öffentlichkeit sozu-
sagen - einigermaßen Bescheid wüßte, wodurch die
prototypische journalistische Grundsituation in diesem
Fall gegeben sei. Schon lange habe er auf diese Möglich-
keit gewartet, mir diesen Freundschaftsdienst zu tun,
und er habe deshalb dem Chefredakteur eine »wirt-
schaftlich sicher noch einmal höchst interessante Ent-
deckung«, wie er sich ausdrückte, meiner Person und
meines Werkes angekündigt und zur Verdeckung der
fatalen Leerstelle für den kommenden Tag vorgeschla-
gen. In alter Freundschaft könne ich ihn doch nicht sit-
zenlassen, fiel er in mein vorläufiges Schweigen ein, was
ich dann auch nicht übers Herz brachte, überhaupt in
Anbetracht der Tatsache, daß ich damals noch nich von
der Lawine wußte, die dieser Freundschaftsdienst lostre-
ten würde. Ich forderte ihn also auf, aufzustehen, sein
Bett oder seinen Notizblock - je nachdem, was er drin-
gender brauche - zu nehmen und zu mir zu kommen. Es
ist bezeichnend für die öffentliche (niemals offene!) Mei-
nung gegenüber Wissenschaftlern und Künstlern, ganz
besonders aber Findern gegenüber, daß alles Altherge-
brachte, also auch derart veraltete Zitate, von ihr stets
mit einem neuen, mit einem Hinter-, Neben- oder über-
haupt Sinn ausgestattet wird, während die Originalaus-
sagen wichtiger Köpfe als Wider- oder Unsinn zu verste-
hen (wie sie der Mensch im englischen Kulturraum noch
richtig und ganz natürlich erfassen würde), in unseren
Breiten als Zeichen der eigenen Kompetenz gilt und
strengstens verpönt ist. Dies alles spürte ich an der hör-
baren Denkpause seinerseits am Telefon, während ich
langsam, da man von einem Journalisten ja imm noch
ein letztes Wort erwartet, den Hörer auf die Gabel legte.
Dieses letzte Wort kam dann mit einer halben Stunde
Verspätung in meinem Vorgarten bei herrlichem Wetter
samt Kaffee und Kuchen. Er habe ganz vergessen, mir zu
sagen, sagte er, während er die mitgebrachten Heidel-
beerschnitten auspackte, was für eine wichtige Funktion
dieses Feature über meine Person für den Leser erfülle,
in einem tiefgreifenden existenziellen Sinn und auf jeden
Fall, ob mich der Leser verstünde oder nicht, da er durch
meine Exkurse1) und seine dazugehörigen journalisti-
schen Diskurse2) tatsächlich vor der fatalen Erfahrung
des Nichts, welche in Form einer leeren Zeitungsspalte
selbstmordgefährdend und zersetzend wirken könnte
und auch würde, bewahrt werde. Ich willigte also in die
Sache ein, da mir eine Sinnlosigkeit in einer Zeitung
damals tatsächlich weniger gefährlich erschien als eine
Sinnleere, auch wenn ich heute aus dem darauf Folgen-
den gelernt zu haben glaube, daß diese Gefahr denn
doch nicht so groß gewesen wäre, da der Leser in unse-
rem Kulturkreis offensichtlich dahingehend geschult ist,
fehlenden Sinn willkürlich und eigenständig zu ersetzen,
und somit logischerweise vor jeder wirklichen Gefähr-
dung durch die Presse gefeit ist. Nach langem Gespräch
und dem Verzehr sämtlicher Heidelbeerschnitten sah
sich mein damals noch sogenannter journalistischer
Freund vor der Schwierigkeit, daß meine Erfindungen zu
komplex für eine exakte Beschreibung und zu zwecklos
für eine kurze Charakterisierung seien. Deshalb
beschränkte sich der Artikel dann leider ganz auf eine
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1) Lat.: Ausflüge, Spielräume
2) Lat.: Zickzack-Auseinanderlaufen
Beschreibung meiner Erfinderpersönlichkeit1), bei wel-
cher er - trotz meiner mehrfach Warnung - immer
wieder auf meiner bisher zu wenig gewürdigten Leistun-
gen für das Allgemeinwohl hinwies, darauf, daß der Staat
Österreich bisher so ganz ohne meine Errungenschaften
hätte auskommen können (was ich ja, wie Sie wissen,
immer als durchaus angenehm empfunden hätte),
wodurch ein völlig inadäquates Bild meiner Person ent-
standen sein mag, welches dann zu den Verwirklichungen
führte, die sich nun zur Katastrophe auszuweiten begin-
nen.
Eine Korrektur meines so dargestellten Image hätte
jedoch - als Vorbedingung - einer vielleicht jahrelangen
Neuausrichtung der Denkweise meines damals noch
sogenannten Freundes bedurft. Um seine berufliche Exi-
stenz nich zu gefährden und im sicheren Gefühl der Ver-
geblichkeit seiner Volksaufklärung, beließ ich schließlich
ihn und damit auch die Öffentlichkeit in der Meinung, sie
wüßten, auf welches Ziel meine Person und meine Werke
gerichtet seien und aus welcher Richtung gesehen
jedermann - wie man so treffend sagt - etwas damit
anfangen könnte. Mit dieser Fehlleistung, dieser teleolo-
gischen Funktionalisierung, wie es die Fachsprache nen-
nen würde, begann mein Leidensweg.
Da besagte Stelle in der »Presse« ansonsten täglich
den Wirtschaftsnachrichten gewidmet ist und fast aus-
schließlich von dazu abgerichteten bzw. verurteilten
Managern, Spekulanten und Finanzgenies gelesen wird,
kam einer derselben offensichtlich zu dem Schluss, daß
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1) Auch er weigerte sich - aus Allgemeinverständlichkeitsgrün-
den, wie er sagte, und auch aus Gründen der von den Presse-
leuten verantwortungsvoll und sorgsam behüteten deutschen
Sprachregelungen (Maß-Regelung) - meinen Begriff des »Fin-
ders« zu verwenden.
meine Werke, weil sie auf der Wirtschaftsseite der
»Presse« aufschienen, irgendwie eine finanzielle Bedeu-
tung hätten. Während ich also noch ahnungslos an der
Entwicklung meiner Leerlaufmaschine bastelte (die
noch im selben Jahr - diesmal in der Akademie der
Künste - hätte vorgestellt werden sollen), setzte dieser
Mann, seine eigene diabolische Maschinerie in Bewe-
gung, was mir aber leider nicht rechtzeitig zur Kenntnis
kam, sodaß schließlich nichts mehr aufzuhalten war.