Zum Buch: Bergiselschlachten
© Limbus Verlag Hohenems 2007
Druck: Gruner Druck, Erlangen
Korrektur: semikolon - Büro für Korrektur
und Lektorat - www.semikolon.co.at
ISBN 978-3-902534-11-8
www.limbusverlag.at
Vergriffen. Restexemplare bei der Autorin erhältlich
Tirol Triologie, Teil 2
Eine Hand ragt aus dem Neubau der Innsbrucker
Bergiselschanze - wie ärgerlich. Das Schisprung-
event der "Adler" steht schon vor der Tür und ein
Mord; das ist wirklich unpassend. Die junge, neu-
gierige Journalistin Rikki Perlinger wittert die Story
ihres Lebens. Doch sie ahnt nicht, wie umkämpft
der Bergisel wirklich ist, bis sie den Ander Hoffer
kennenlernt und von den Machenschaften lokaler
Politiker und eines amerikanischen Investors er-
fährt. Ein Freiheitskampf beginnt...
Leseprobe
1
Ehrlich, ich habe Angst, nach Innsbruck zurückzu-
gehen. Allein an die Schanze zu denken, die wie eine
tanzende Kobra über der Stadt lauert, verursacht
Gänsehaut. Jeden Moment wird der vorgereckte Kopf
herabschnellen und zubeißen.
Vor mir Hoffers Tagebuch. Wenn ich die Sache mit
den Bergisel-Morden allen Warnungen zum Trotz ver-
öffentlichen will, muss das umgeschrieben werden.
Die Rechtschreibung katastrophal. „Mit herausgeberi-
scher Sorgfalt redigieren“, würde Obermoser das nen-
nen. „Eine Quelle verfälschen“, hieße es bei Ver-
haughten. Immerhin liegt ein Dokument vor. Aber so-
gar Emanuel Verhaughten hat mir geraten, die Finger
davon zu lassen: „Die Mächtigen bestimmen, welche
historischen Quellen anzuerkennen sind. Obdachlose
zählen nicht dazu.“ Weiß ich ja selber. Noch dazu,
wenn ein?ussreiche Persönlichkeiten von einer derar-
tigen Quelle mit einem Mordfall in Verbindung ge-
bracht werden. Wäre das nicht der Fall, säße ich
schließlich nicht hier, sondern immer noch in der Re-
daktion des Tiroler Boten.
Ein Monat Semesterferien. Ein Monat Nachdenken.
Ich breite die in dem Büchlein eingelegten Zeitungsar-
tikel und Zettel auf dem Tisch aus und überlege, wie
sie in den Text passen könnten.
Ein Artikel aus dem Tiroler Boten von letztem No-
vember. Mein erster Monat als Volontärin. Der Aus-
schnitt lag im Tagebuch des Andreas Hoffer zwischen
folgenden Seiten:
Ich stopf den Boten zwischen meinen Hintern und die
Bank vom Verschönerungsverein, weil es saukalt ist.
Klar, was soll man andres erwarten Mitte November.
Dabei hält der Föhn offen und bewahrt uns vor dem
Männerwohnheim. Der Joe seit zehn unterwegs. Wenn
er nit bald mit dem Frühstück auftaucht, muss ich selber
zur Tankstelle einen Liter holen. Aber es fehlen drei
Schilling und weit und breit kein Tourist in Sicht.
Und während ich sitz und frier und wart, kommt von
dort unten wieder dieser Amerikaner, wie schon letzte
Woche. Diesmal allein. Aber mit dem gleichen breitbeini-
gen Cowboygang. Mit derselben Holzfällerjacke. Mit sei-
nem Wildwest-Hut und seinem Hunderttausend-
Schilling-Grinsen. Schad, dass im Scheibenlager kein
Stutzen liegt. Sicher zwanzig Minuten steht der zwischen
„Soldatenleid” und „Soldatentreue” und schaut ringsum,
als ob ihm das alles gehören tät. Flaniert ums Hofer-
denkmal, als wär er der Erzherzog persönlich. Und
wenn ich recht verstanden han letzte Woche, dann ge-
hört ihm wirklich bald alles. Ich hätt ihn genau im Visier.
Aber so geht's unsereinem; Sitzt in einem alten Schieß-
stand und hat keinen Stutzen. Dabei wär das ein echter
Fall von Vaterlandsverteidigung. Der Hofer drüben tät's
auch so sehn.
Der Stand 3 ist unser Schönwetter-Platz. Nit zum
Schlafen, aber untertags wirklich stilvoll mit seine
Schnitzereien. Von November bis Ende März, solang
keine Touristen da sind, kann man auf den Bänken vom
Verschönerungsverein sitzen und den Hundebesitzem
zuschaun, die ihre Viecher am Heldenberg äußerln füh-
ren. Drum ist mir auch der Amerikaner letzte Woche
aufgefalln. Weil er keinen Hund dabeigehabt hat. Statt-
dessen eine Blonde und einen Mittfünfziger im Loden-
anzug. Und im Schlepptau einen Kleinen im grellfärbi-
gen Anorak, den die Blonde mit „Herr Präsident” ange-
redt hat. Da bin ich hellhörig worden und hintennach.
Sie han mich nit bemerkt. An unsereinem schaut ja jeder
vorbei. Und dass ich von früher her ein paar Brocken
Englisch versteh, vermutet auch keiner. Dabei ist das
das Einzige aus der Schule, das was nützt: Wennst ei-
nem Touristen, der sich verrennt, den Weg in die Stadt
erklärst - Down däär, de stäärs, you go down däär -,
schaut immer was heraus.
Aber ich muss anders anfangen. Da kennt sich ja
keiner aus.
Ich heiß Andreas Hoffer. Mit zwei F. Obwohl mir das
nix genützt hat. Heut logiern ich und mein Kollege neben
dem Namensvetter aus Bronze, wenn's nit so kalt ist,
dass wir ins Männerheim müssen. - Wo der Joe nur
bleibt? Am besten, ich verzieh mich ins Lager. Dort ist nit
so kalt.
Dös Scheibenlager neben dem Urichhaus ist ein su-
per Schlechtwetterplatz. Sogar Klo daneben. Nur im
Jänner herrscht Wirbel wegen dem Schispringen. Und
im Sommer - wenn die Touristengruppen rumrennen,
hinter irgendwelchen Führern rnit erhobnem Arm hin-
tennach - verziehst dich eben hinter den Waldspielplatz.
Ich persönlich mag's auch unter der Autobahnbrücke,
wo die Fernlaster drüberdonnern. Und der Joe ist am
liebsten bei der Gloriette. Ist zwar zugig, dafür hast ein
Gefühl, sagt er, als tätst über der größten Kreuzung Mit-
teleuropas stehn: Links die Brennerautobahn, gradaus
unten die Bundesstraße und der Wiltener Bahnhof: vom
draußen der Südring, hinten die Westautobahn. Und im
Zentrum von all dem Gewurl der Wiltener Friedhof. So
als Monumento mori sozusagen.
Auf jeden Fall han mir von allen Gruppen in Inns-
bruck den schönsten Platz. Besser als wie am Bahnhof
oder bei den Markthallen, auch wenn dort mehr Spen-
den anfallen. Da heroben spürst die Freiheit - den Geist
von 1809 - auch wenn's Freiheit und Geist damals grad
so wenig wie heut gegeben hat. Aufs Gefühl kommt's
an, nit auf die Wirklichkeit, sagt der Joe. Die Wirklichkeit
ist immer Scheiße. In der Wirklichkeit kommt zum Bei-
spiel so ein Scheiß-Amerikaner und redt am Bergisel von
Freizeit anstatt von Freiheit. Drau?osschlagen und den
Berg hinunterwerfen wär das Rezept vom Ander gewe-
sen.
„Was willst tun“, sagt der Joe, „der Hofer hat seine
Mander gehabt, mir han niemand.“
Ich muss wohl noch den Joe vorstellen. Wir zwei tei-
len jeden Doppler. Auch unser Schicksal. Er heißt näm-
lich Josef Goebel. Mit einem B und ohne S. Hat ihm
aber grad so wenig genützt wie mir das zweite F.