Zum Buch: Satansbrut

Wohin man auch blickt: Ein Versteckspiel hinter
Masken aller Art.
"Und Wahrheitsfanatiker wirken im allgemeinen
Maskentreiben extrem störend."
Das muss auch die Volkskundlerin Patrizia
Federspiel schmerzlich erfahren, als sie sich
wegen wissenschaftlicher Feldstudien über das
Maskenbrauchtum einen Sommer lang in einem
idyllischen tiroler Dorf niederlässt.
In Gasthofbesprächen mit den Erwachsenen das
Dorfes, in Interviews mit dem zuerst feindseligen
Schnitzer Kajetan Hanser und den Jugendlichen
des Dorfes ergeben sich zahlreiche Facetten des
dörflichen Selbstverständnisses, der Schein-
heiligkeit, der Intoleranz und schließlich offener
Aggressivität.
Unter der freundlichen touristischen Oberfläche
entwickelt sich nach der Entdeckung einer
Leiche ein Klima gegenseitiger Beschuldigung
und Ausgrenzung, in welches auch Patritzia
hineingezogen wird. Ihre Sympathie schwenkt
dabei mehr und mehr auf die Seite der
Dorfjugend, die die Erwachsenen mit schwarzen
Outfits und dröhnenden Metal-Sound auf
Abstand hält und zwischen Alkohol, Drogen und
Satanismus einen Weg aus der Enge und den
Lügen ihres Umfelds sucht.

 

Er war arbeitsscheu, sagen sie.“

„Klar. Wer ist das nicht in diesem Alter? Die Arbeit wird erst wichtig,
 wenn das Leben vorbei ist.“

„Und die Drogen?“

„Bah. Alle Jungen nehmen irgendwas. Hältst es sonst hier nicht aus.“

 

Gesundes Leben am Land. Sommerfrische. Unschuld. Am Dorfplatz
lehnten sie, wenn ich spätnachts von der Arbeit heimfuhr, zugedröhnt an den
Tafeln vom Tourismusverband. Punks, Raver, Gruftis. Man sah Outfits, die sogar
in der Stadt aufgefallen wären. Untertags als Frisör-, Küchen- und
Mechanikerlehrlinge brav an ihrer vorbestimmten Zukunft arbeitend, legten sie
nachts diese Masken ab und versuchten sich in alternativer Maskerade.

 

© der Texte bei Lina Hofstädter
© der Zusammenstellung bei der TAK
Herausgeber, Verleger, Vertrieb:
TAK - Tiroler Autorinnen und Autoren Kooperative
6020 Innsbruck, Tschamlerstraße 3
Tel.: 0043-(0)676-6054005
E-Mail: office@tak.co.at
Web: http://www.tak.co.at/index.php?id=40

 

Einbandgestaltung und Satz: Atelier Pixelknecht, R. Thomas
office@pixelknecht.at
Coverbild: Kassian Erhart
Druck: www.pressgroup.sk
ISBN 978-3-900888-49-7
Innsbruck 2011
Alle Rechte vorbehalten

 

Erhältlich im Buchhandel und beim Verlag http://www.tak.co.at/

Leseprobe

Das Begräbnis


    Die Schönwetterperiode ging zu Ende. Während wir zur
Marienkirche hinunter pilgerten, durchzogen erste feine Wolken-
striche wie Engelshaar den hellblauen Himmel. Eine dreiviertel
Stunde später, als wir hinter dem Sarg die Kirche verließen, war es
dämmerig und höllisch schwül. Nicht dass ich abergläubisch wäre,
aber jeder spürte, dass sich etwas zusamrnenbraute.
    Jetzt schlängelte sich der Trauerzug in Zweierreihen zwischen
Grabkreuzen hindurch. Voran der schwankende, helle Sarg, den die
Träger mit Leichtigkeit schulterten, weil er nur ein Knochengerüst
und das nicht einmal vollständig enthielt. Dahinter eine Mutter
unter schwarzem Gesichtsschleier und ein Vater mit steinerner
Miene. Ich hielt mich zuhinterst. Es gab keinen Grund für mich
hier zu sein, außer dass ich den Toten gefunden hatte. Ich beob-
achtete die trauernde Dorfgemeinschaft. Gloria wie immer ganz in
Schwarz. Die dicken schwarzen Lidstriche um die Augen in ihrem
überweißen Gesicht verdächtig verschmiert. Neben ihr das
Küchenmädchen vom Gasthof Bergfrieden mit rosa geschwollenen
Lidern, obwohl die Farbe auch bei ihr möglicherweise vom
Makeup herrührte. Die Mädchen hier schminken sich schrecklich.
Schlimmer als in der Stadt. Weiß der Himmel, aus welchen
Journalen sie ihr Aussehen beziehen.
    Othmar und Irmgard waren Teil des Trauerzugs, so wie aus
jeder Familie des Dorfes mindestens einer anwesend war. Ab und
zu wandte sich Irmgard zu Gloria um, um sicher zu gehen, dass
sich die Tochter nicht danebenbenahm. Doch Glorias Leichenbit-
termiene passte heute reibungslos ins verlangte Bild.
    Auch ein Kamerateam vom ORF war anwesend und wurde mit
bösen Blicken bedacht. Wahrscheinlich hatten Tageszeitung und
Bezirksblatt ebenfalls einen Reporter unter den Trauergästen
postiert. Vielleicht standen sogar Polizeibeamte mit gesenkten
Köpfen und gefalteten Händen zwischen den Trauernden.
    Thomas' Arm lag schwer auf dem meinen, obwohl er nach
eigener Aussage gekommen war, um mir eine Stütze zu sein.
    Irmgard hatte ihm, wie schon bei seinem ersten Besuch, das
Zimmer neben dem meinen zugewiesen und ich hatte Thomas in
die Seite gestupft, damit er ja nicht einwandte, das sei unnötig. So
wurde die katholische Form gewahrt. Thomas mokierte sich,
sobald wir allein waren, dass hier zwei erwachsene Leute nicht in
einem Zimmer schlafen durften, und fragte, ob es auch nötig wäre,
sein Bett zu zerwühlen. Ich hielt das für keine schlechte Idee, weiß
aber nicht, ob er es tatsächlich tat. Jedenfalls war ich jetzt, am
Friedhof, obwohl ich mich erst gegen sein Kommen gewehrt hatte,
doch froh, dass er hier war. Mit meiner Dissertation über „Altes
und neues Tiroler Maskenbrauchturn“ kam ich unter diesen
Umständen sowieso nicht weiter. Und dabei hatte ich mich in den
Ferienjob im Pitztal geradezu geflüchtet, um die Arbeit endlich in
Ruhe abzuschließen.
    Von dieser optimistischen Vorstellung, die gerade einmal vier
Wochen zurücklag, zeugt noch die ganzseitige Überschrift auf der
ersten Seite des Feldtagebuchs: „Masken im Tiroler Oberland“. Da
machte ich noch brav Eintragungen zu allem und jedem, das mir
als Volkskundlerin interessant erschien, wie etwa am 4. Juli 2005
bei meiner Ankunft an Großvaters Hof: „Wiesenhof“, erstmals
erwähnt 1680. Kürzlich renoviert und umgebaut. Flur original
erhalten. Getreidetruhe von 1823. Gnadenbilder: Larentradition?
    Die Truhe ähnelt nämlich auf den ersten Blick einem
Kirchenaltar: Links der kürzlich verstorbene Karol Wojtyfla mit
Trauerbinde, rechts der neue Papst Benedikt mit seinem Frettchen-
lächeln. Das Ensemble stellt dem Besucher gegenüber gleich klar:
In diesem Haus ist Sonntagskirchgang angesagt. Wie zu Groß-
vaters gestrengen Zeiten. Schlagartig mit Betreten des Flurs kehrte
bei mir die Unsicherheit der Zehnjährigen zurück, das Kratzen des
Sonntagsmantels im Nacken, die ängstlich kurzen Schritte. Auch
wenn sich Tante Irmgard für den auf die Wange gehauchten
Begrüßungskuss diesmal strecken musste, statt sich wie früher her-
abzubeugen, erwartete ich zu hören: „Groß bist du geworden,
Patrizia.“ Dies der Begrüßungssatz zu Beginn jeder Sommerfri-
sche.
    Meine Mutter bestand auf dem alljährlichen dreiwöchigen
Gefangenenlager im Pitztal, während die Mitschüler ins
Sommercamp fahren oder ihre Tage unbeaufsichtigt im
Schwimmbad verbringen durften. Beim Großvater gab es ihrer
Meinung nach für mich alles, was ein Kind brauchte - gesunde
Kost und frische Luft. Das heißt: ein paar Kühe, die stanken, vor
deren lauwarmer Milch mir ekelte und deren Größe mich ängstigte.
Dazu Familie, großgeschrieben: Cousins und Cousinen aus
Landeck, die sich Kurzweil schafften, indem sie mich terrori-
sierten. Einzig Tante Irmgards Baby befand sich in einer noch aus-
gesetzteren Position. Jenes wurde allerdings rund um die Uhr
bewacht.
    Der damals in rosa Rüschen gewandete Winzling musste es
sein, der mich nun mit bombenähnlich einschlagendem Heavy-
Metal-Lärm aus einem der oberen Räume begrüßte. Tante Irmgard
zuckte zusammen und sagte resigniert: „Gloria!“, als hätten wir
beide immer schon gewusst, dass es einmal so enden würde. Ich
rechnete nach. Fünfzehn Jahre war das jetzt her. Die Machtverhält-
nisse hatten sich offenbar verschoben. Und wieder nicht zu meinen
Gunsten.

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